Das bin ich

 

Hi,

Das bin ich, Esther.

Als ich anfing, Informatik an der Uni in Basel zu studieren, begannen die Leute dort, mich Esthi zu nennen. Bisher hatte mich noch nie jemand Esthi genannt.

Ich war weiblich, ich war eine der Jüngsten in meinem Jahrgang und bestimmt auch eine der Kleinsten.
Ich habe stets meine Lösungen an die anderen Studenten weitergegeben. Wenn Leute um Hilfe baten, antwortete ich als erste. Ich suchte den Kontakt zu so vielen Studenten wie möglich.

Ich war Esthi. Alle kannten Esthi. Ausser ich.

Früher, im Gymnasium, war ich die personifizierte Mittelmässigkeit. Meine Noten waren in Ordnung, nie gut, doch nie sonderlich schlecht. Ich war fröhlich, doch nie allzu fröhlich. Ich war traurig, doch nie allzu traurig. Ich war leise, doch nie leise genug, und ich war laut, doch nie laut genug.

Esther war nie eine Macherin.
Doch Esthi war eine.

Was die meisten Personen, die mich umgaben, nicht wussten, war, dass ich Angst hatte. Unentwegt. Ich hatte – und habe noch – Angst nicht gut genug zu sein, Angst zu versagen.

Zum ersten Mal wollte ich nicht mehr mittelmässig sein. Ich wollte gut sein, grossartig in dem, was ich tue. Ich wollte eine erfolgreiche Frau in der Wissenschaft sein.

Manche würden das hochmütig nennen, manche streberhaft.
Ich nenne es Angst.

Wenn ich mir vorstelle, mich eines Tages für eine Stelle in der Informatik zu bewerben, dann spielt sich immer wieder dasselbe Szenario vor meinem inneren Auge ab.

Was, wenn ich die einzige weibliche Bewerberin bin?
Was, wenn ich die Stelle bekomme?
Was, wenn meine einzige Qualifikation mein Geschlecht ist?
Was, wenn ich nur eine Quote erfüllen soll?

Davor habe ich Angst.
Diese Angst treibt mich an. Sie zwingt mich, dazu mein Allerbestes zu geben.

Ich möchte nicht mittelmässig sein. Ich möchte grossartig sein.
Ich möchte für meine Fertigkeiten eingestellt werden, nicht für mein Geschlecht.
Ich möchte für meine Kenntnisse eingestellt werden, nicht für eine Quote.

Ich bin weiblich, ich bin eine der Jüngsten in meinem Jahrgang und immer noch eine der Kleinsten.
Bisher habe ich die Hälfte meines Bachelors erfolgreich abgeschlossen, habe als Teil einer Powergruppe, bestehend aus vier grossartigen Frauen, ein gelungenes Spiel programmiert und nun, bloss ein Jahr darauf, bin ich selbst Teil des Tutorenteams dieser Vorlesung.
Ich studiere Informatik und werde das weiterhin tun, denn trotz jeder Angst liebe ich was ich tue.

Das bin ich,

Esthi

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